"Ein Nachbar schläft, ein andrer klagt, ein dritter redet viel. Stationen werden angesagt.
Der Zug, der durch die Jahre jagt, kommt niemals an sein Ziel. Wir packen aus. Wir packen ein.
Wir finden keinen Sinn. Wo werden wir wohl morgen sein? Der Schaffner schaut zur Tür herein
und lächelt vor sich hin."
(Erich Kästner)
Unterwegs
Mondbeäugtes
Über schienen rattern
Ich packe meinen koffer
Und nehme mit
Ein paar wolkenschafe
Ein paar blumenkelche
Ein dutzend baumkronen
Aus den vorbeiziehenden
Fenstern werf' ich
Den blick zurück
Bleibe
Unterwegs
Mondbeäugt
Über schienen ratternd
© by Anne
Seubert
Vom
Wiehern des Mondes
Das Seufzen der Züge, die Schreie der Pendler
Beim Rascheln der Lüge, im Rücken der Sender,
todmüde vom Rot, fernab der Straßen,
klebriges Brot, halblaute Phrasen.
Der Schuss der Aurora in diesem Jahrhundert,
das Zögern der Flora das Jahr zu umrunden,
die Stechuhr im Glas, das Blut ihrer Ampeln,
und staubrotes Gras im Schnabel der Amseln.
Im Morgendunst, rosa, lächelnde Sklaven,
die Werbung spricht Prosa, um weiterzuschlafen;
waidwunde Augen, und du fragst: Lohnt es
das Herz auszulaugen für ein Wiehern des Mondes!
Achtlos im Gehen, noch "Mahlzeit" schreien,
vorbei, nichts verstehen, und niemals verzeihen;
den Hunger im Kopf niemals begreifen,
der Gelegenheit Schopf niemals ergreifen.
Ein Byte unterwegs zu den Resten der Macht;
ein Herr, sehr gepflegt, der den Pöbel verlacht;
Kommandos, sie fallen auf willige Hände,
im Dickicht der Hallen das zirpende Handy.
Zögernde Tasten, von Neon geschunden,
Gemenge der Kassen, kassieren der Stunden,
doch im Juli starten die Ferien der Drohne
in wärmere Waben und das Wiehern des Mondes!
Doch abend fällt rot, reif an den Haaren,
der Abschied verroht im Abschied der Waren;
ein Greis in der Wiege, im Nebel ergraut,
kreischende Züge, Stimmen entlaubt.
Die Psalmen der Pendler beim Abendmahl,
die Kriege der Länder im Kanal ihrer Wahl;
Schnittchen im Laub, ein paar Küsse und Zank,
die Kinder sind taub, und kein Erntedank.
Wir löffeln gehorsam die Suppen der Reichen,
wir trotzen noch einsam, und müssen doch weichen;
Novemberverdacht, Revolte, sagt: Lohnt es,
das Fallbeil der Nacht mit dem Wiehern des Mondes!
Rückfall der Zeit, dein Kuss hinterm Berg,
zerissenes Kleid, die Sirene vom Werk;
Pappengel rauschen über lehmgrauem Feld
vor dem Tore draußen, wo die Linde zerfällt.
Die Tage der Blinden, der Ruf des Propheten
beim Ablass der Sünden zum Schrei des Kometen;
nehmt die Götter zurück, zerschlagt ihre Krippen
für ein Mund voll Glück von deinen Lippen.
Der Verlust unsrer Würde, kein Halt, Heldenbrust,
Nachtschaf und Hirte, tagblinde Lust;
taumelnde Erde, von Sätzen verschont
den Schlaf meiner Herde mit dem Wiehern des Mondes!
© by Axel
Frevert
be-Zugs-Los
im fenstergleiten glattgeschoren,
am sitzbezug, der tag verloren,
sekundenfetzenneugeboren
in irisstücken, meine hände
wie gummischwarzes glasgerände,
zerborsten klebrig, stützen wände,
wo hat der windzug mich verloren
wie von gerauchten zigaretten
die stummel, zug für zug erfroren,
zerzaust von würden bis nach hätten
ist in dem flirrenden gesände
von scheibenzeit die scherbensonne
© by Julia
Romazanova
nahverkehr, zweitens
sie hat dich rausgeschmissen
weil sie in deinen taschen
die sie abends und nachts wenn
du geschlafen hast
heimlich durchwühlt hat
keine gültige fahrkarte für den nahverkehr
ihres lebens gefunden hat -
vor anderen heißt das natürlich
du hättest sie verlassen
und jetzt sitzt du am gleis
eine menge züge fahren vorbei
blonde braunhaarige und rote
und du überlegst
einen dieser züge zu nehmen
um endlich zur nächsten
station zu kommen -
aber was willst du da?
© by Stefan
Heuer
ungezügelt
ich will zurück
auf meine schienen
wo ich weiß
wo die notbremse sitzt
will mich
im fortkommen
bewegen und
vor allem
von ankunft wissen
doch ich habe
den zug verpasst
schlage über die stränge
mich durch
an schranken und wärtern
vorbei
und komme an
weit vor dem ziel
© by NJKahlen
für die reise
wirklich wichtig
wären
die zahnbürste,
buch, stift, papier
und mein kissen.
wie immer jedoch
schleppe ich
den roten
koffer voll vorsorge
über die fremden
treppen.
was am ende
bleibt,
ist das kissen.
einer wird es mir
unter den kalten
nacken schieben.
© by Bess
Dreyer
Du über exponentiellem Integral
D
u,
ob
bei
des
weit
endend
Wegs du
nach Belieb
solch Schritte
tust, wie sie Dir
gegeben, oder die
Natur dir, in der zwei
Seelen kämpfen, Kraft
raubt. Bedenk die wirkend
Weise. Mit jedem Atemzuge
baust Du handelnd Gleise dem
Geschick in dieser Welt. Der Zufall
-in dieses Wortes eigentlichem Sinne
kehrt dann zu Dir zurück und wirkungsfrei
ist nur das Nichts. Du bist wie Gaukelflug und
Falter, so unentwirrbar mitbestimmend der Erde
Schicksal. Du bist so unermesslich über alle Grenzen
Wirksamkeit. Und was Du säst, wird Dir zur Ernte so ganz
wie Dir zur Ernte wird der andren Menschen Saat, die genau
wie Du aus dem chaotischen Gefüge ihre Nummern ziehn. Wahr bleib
Seele Dir. Ob Du Tränen oder Lachen zeigst wenn Kummer Dich bedränge
es ist der Unterschied, den Du entscheidest. Heuchelst schweigend Du Verachtung
oder gestehst Du Dein Verstummtsein. Hast Du noch Träume, oder träumt
Dir schon öde die
Gewöhnung. Bist Du schwer oder schon tragbar. Nimmst Du den Trost, oder
forderst du Verheißung
Suchst Du Genaues oder reicht das Vage. Willst Du Gewürze oder Schales.
Aus allen Dingen wird ein Wirken
dir entspringen vieles scheint so unerheblich, kennst Du das Grauen und die
Qualen nicht. Ist Deine Welt so weit wie ihre
Warenherkunft. Bist Du Köder, oder gibst du Dich im Wissen ganz und
gern. Hast Du Fragen oder Mauern. Du bist die Luft aus dem Reaktorkern
© by Erebus
Blaue Reise
Sie sitzt am Fenster
und sie schaut
auf die bewegte Zeit.
Erwartung
legt sich auf die Haut
wie eine warme, weiche Decke.
Der Zug hält an
und sie steigt aus
im leichten Kleid.
Minuten später dann
entgleist ihr Tag
auf grader Strecke.
© by Anna
verwanderung
seit tagen sind wir
nun schon auf der reise
unterwegs mit
rasenden atemzügen
oder in gemütlichen
retourkutschen
auch lassen wir
schon mal tränen
ein stück des weges
für uns laufen
und es ist dabei
so herrlich nichtig
wohin wir gehen
wir kommen einfach
darauf an
© by Felix
Wetzel
Die
Räder rollen
Die Räder rollen,
rattern auf den Gleisen
durch unbewegte,
graudurchflossne Schneisen.
Die Scheibe, nachtgetönt,
wird Spiegel, der sich
ermattet selbst verhöhnt.
Blick ich nach vorn,
so seh ich hinter mich
und schau hinaus
ins eigene Gesicht.
die eigne Nase,
atemlos,
verkohlt das letzte
dürre Haar.
Die Augen rauchig
schwimm ich auf dem Floß,
das einst so standhaft,
unverrückbar war.
Den Schlüssel tief versenkt
in stur geweitete
Pupillen,
verknote ich,
die Muskeln fest verschlossen,
die Wimpern meiner Lider.
So mancher wird
im Zug erschossen.
Die Möwen
wandern wieder
© by Melanie Tausch
Immer grünende Handschuhhand
Mit spitzen Fingern rühren
die Zeiger der Bahnhofsuhr
in den leise zitternden
Wartesaaltassen
sämtliche Züge haben
sieben Jahre Aufenthalt
auf Signal fährt die Stadt ab
© by Bernd
Straub-Molitor
Info zur Anthologie
Diese Gedichtsammlung begann im Juli 2004 und trägt im Laufe der
Zeit lyrische Fundstücke aus dem Internet zusammen. Ein Ende bzw.
Abschluss dieser Sammlung ist nicht geplant. Wenn Sie also weitere, hierher
passende Gedichte haben, können Sie uns diese gerne
zusenden.
Eine Veröffentlichung kann jedoch nicht garantiert werden.
Hinweis zum Urheberrecht
Die auf dieser Seite veröffentlichten Gedichte und Fotografien sind urheberrechtlich
geschützt und dürfen nur mit dem ausdrücklichem Einverständnis
der jeweiligen Urheber reproduziert, verarbeitet oder
verbreitet werden. Bitte setzen Sie sich in diesen Fällen im Vorfeld mit uns
in
Verbindung. Vielen Dank!