Zeitwaisen

"Wir, die Unzufriedenen, die im Überfluß leben, wir, die auf Wert und Gegenwert aus sind, wir, die alles besitzen, von dem unsre Väter nur geträumt, plötzlich stehen wir da, zu wenig Dasein in der Hand. Noch leben wir, verwischen die Grenzen, geben Beifall der Zeit, die hinter unserm Rücken laufend tötet. Öllaken treiben auf uns zu, leere Stellen im Gespräch, an den Herzrändern Schweigen." (Hanns Cibulka)

Im Fluss

Nichts hat Bestand,
sagt man,
denn alles fließt,
nichts bleibt.

Ich seh dich an -
und grabe Seitenarme
in die Zeit.

© by Anna
Bild
Zeitgefühle

hin- und hergeworfen
von den Stunden
rutsche ich
auf den Minuten aus

verschmelze
mit den Sekunden
und huste
Zeiger aus

die Zeit
fährt mir in die Glieder
hinterläßt
durchlöcherte Haut

auf den Narben
tanzt
das Uhrmännchen
Tango

© by Angelika Pauly
ohne titel

nichts ist noch geschehen
die zeit steht still
dies horchen
was sein wird
dies hoffen
alles kann werden
nur noch
dies bereit sein müssen
dies heranwehende gehen müssen
die
zeit
steht
still
eine flüchtige hand
eine tiefe berührung
alles ist noch geschehen

© by Susanne Mette
der zeitscherenschnitt

der zeitscherenschnitt
hängt am fenster nach süden

ich tanze um regen

nach der mahd
des getreides
braucht´s wieder schuhe
zum marsch
über die felder

© by Guido Steiger
Aufbruch

Die Zeit stirbt Risse in die Brücke
die wir über die Wolken spannten
um uns ganz oben zu begegnen.

Nun folgst du mir rückwärts durch die Nacht
und schneidest meinen Schatten vom Pflaster
Stunden quellen träge aus den Fenstern
hinter denen du schale Feste
mit dem Wein vom Vortag feierst.

Ich räume dir nicht mehr
die Tage hinterher
und trage dein Lachen auf
Zwischen dir und mir
finde ich dich hundertfach
und immer noch streife ich
nur, was außen.

Ich gehe dahin zwischen Zeilen
aus gefrorenem Weiß.

© by Majissa
erinnerung

ich trage oliven zwischen meinen zehen
vom letzten sommer
mit dir

und salze
zerstören wie schnäbel
den garten
-
du wirst die steine aufheben
das weiß ich

wir werden uns wieder an stille gewöhnen

und einer wird sagen:
es gibt keine alternative
zum nichts

© by Paula
2003-07-17

Zeit
heilt
keine Wunden
sie sagt nur
der Hoffnung
sie soll verschwinden
doch die Hoffnung
gehorcht
nicht

© by Andreas Voß
Komprimiert

Gestern verbrannte ich
das alte Jahr,
weil ich es nicht
begraben mag.

Nun passt die Asche
wunderbar
in eine Nacht
und einen achtel Tag.

© by Anna
Mo 2000-05-29 19:24-19:50

lange nicht suchte ich sie
die Zeit
die ich jetzt gefunden habe
nicht
dass ich sie nicht lange suchte
sondern schon lange nicht mehr
wen?
die Zeit
nicht irgendeine
wo Du keine Uhr trägst
der Wintertränen Wolkenbruch
prasselt
egal ist
und alles friedlich
in dich fährt.

© by Andreas Voß
Bild
Als wäre es das Gleiche

Wenn man sagt "Ich liebe dich."
heißt es meistens nur "Schön!"
- so wie man beim Blick auf die Uhr sagt
"ok - es ist halb sechs"
weil es evident zu sein scheint:
Halb sechs ist halb sechs
und Geliebtwerden ist Geliebtwerden

Ich denke an die Zeitzonen
und bin mir nicht so sicher.

Woanders ist es jetzt um drei
- auch das ist wahr.
Lieben wir uns wirklich
jenseits der Zeiger?

© by Martin Mooz
Es sind diese Tage

Es sind diese Tage
wolkenlos weit
mit einem Licht
das den Atem atemlos
macht und die Flügel
leichtsinnig
leicht

Tage, zum Fürchten schön

Denn zu nah am Zenit
schmilzt das Lachen aus Glas
und winzige Tropfen
im hauchdünnen Blau
fallen lautlos
aus der
Zeit

© by Anna
wartezeit

weil du immer sagst
du würdest mehr
zeit brauchen

habe ich dir eine
zweite uhr gekauft

und bin mir
der tatsache
voll bewußt

dass ich wohl nicht
mehr richtig ticke

© by Felix Wetzel
momentaufnahme III.

stille
greift sich die zeit
ins jetzt
treibt sie mich
und in die wurzeln
meiner jahre
geflochten
wächst moos
auf den steinen
wie wege
ziehen die spuren
meiner worte
über die hügel

© by Marianne Rieter
Hoffnungsbloß

Es ist zum
Verrücktgewesenseinwerden.
Verwundelt von
deinem Zauderstab
traumele ich
durch Merkwürdigzeiten.
Mein Gesicht
schmerzverziert
operiere ich
meine verengten
Herztanzgefäße.
Zwischen
Gedächtnisglücken
und
Wimpernwunschpusten
gieße ich mich
in die neue Tagesform.
Die Erwartezeit
ist vorbei.
Wohin soll das
noch fühlen?

© by Brit Krostewitz
Bild
Impromptu

Moos umhüllt mich mild
streichelt sanft
Spinnengeflecht
spür zitternd seine Fäden
deine Seele schweigt
erwarte Regenbogenwind
der mich befreit
von der Zeit

© by Sigrun Maria Hassel


Info zur Anthologie

Diese Gedichtsammlung begann im Mai 2004 und trägt im Laufe der Zeit lyrische Fundstücke aus dem Internet zusammen. Ein Ende bzw. Abschluss dieser Sammlung ist nicht geplant. Wenn Sie also weitere, hierher passende Gedichte haben, können Sie uns diese gerne zusenden. Eine Veröffentlichung kann jedoch nicht garantiert werden.

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