Anna



Schützin des Jahrgangs 1958, von Beruf Diplom-Finanzwirtin, lebt mit Mann und Tochter in einer norddeutschen Kleinstadt. Sie schreibt Gedichte seit Herbst 2001, weil sie fand, dass es nach all dem Input nun Zeit für Output wäre
Bin ein Sommer im Abend

Kurz hinter Cherbourg.

Helle Ränder auf den Tischen.
Schnittmengen von Stunden,
von Jahren.

Une cigarette?
Merci, mais je ne fume plus ...
Ein Lachen. Helle Augen.
Zuerst Kaffee, später Wein.
Erdiges rinnt die Kehle hinab.
Und Worte. Rot und leicht.

Encore un vin?
Anderes schenkt sich ungefragt ein.
Strömt ins Sonnengeflecht.
Und weiter. Wie Musik.
Ein Lied, Jacques Brel,
Je suis un soir d' été ...
Ein Bart, der weich sein wird.

Das Schiff geht früh.
Wortkarges Licht. Ungefiltertes
zwischen den Laken. Über dem Bett
ein vergilbter Druck. Dürers Mutter.
Wieder ein Lachen. Am Fenster
ein letzter, tiefer Zug.

Im Foyer zwei Katzen.
Ein Mann mit müden Händen.
L'addition, s'il vous plait.
Es ist Tag.

Kurz hinter Cherbourg.
Sie

Sie achtet nicht darauf, wohin sie geht,
sie blickt auch nicht zurück, sie schreitet,
und wenn sie unverhofft den Raum betritt,
verändert sich das Licht und breitet
sich aus wie tiefe, warme Töne
es manchmal tun, wenn du die Augen schließt,
und mit ihr übersiehst du, was im Dunkeln steht.

Sie ist nicht schön im eigentlichen Sinn,
und manchmal ist ihr Blick so katzengrau, als käme
sie schlaflos und verhangen in den Tag
aus einer endlos langen Reise durch die Nacht;
du weißt nicht, was sie hier- und dorthin treibt,
du wünschst dir nur, sie nähme auch dich
in ihre Zeit, und fragst auch nicht, wohin

sie nach dir geht, und nicht, wie lang sie bleibt,
denn wenn sie da ist, ist sie und meint einzig dich,
und wenn sie dich berührt und lacht,
hat sie zwei Himmel über sich.
Die Reise der Äpfel

Ein heller Wind
geht schon seit Wochen
um das Haus
und legt mir Tag für Tag
ein Tuch aus fernen Gärten
vor die Tür.

Die ersten Stare sind zurück.

Am frühen Morgen
sitzen drei von ihnen
regungslos
im Apfelbaum,
noch stumm vom Winter
und vom Weg.

Nur einer
lärmt sich munter
in den neuen Tag
und sucht schon aufgeregt
unter dem alten Laub
die Sonne.

Vielleicht waren sie auch nie fort.
Blaue Reise

Sie sitzt am Fenster
und sie schaut
auf die bewegte Zeit.
Erwartung
legt sich auf die Haut
wie eine warme, weiche Decke.
Der Zug hält an
und sie steigt aus
im leichten Kleid.

Minuten später dann
entgleist ihr Tag

auf grader Strecke.

Es sind diese Tage

Es sind diese Tage
wolkenlos weit
mit einem Licht
das den Atem atemlos
macht und die Flügel
leichtsinnig
leicht

Tage, zum Fürchten schön

Denn zu nah am Zenit
schmilzt das Lachen aus Glas
und winzige Tropfen
im hauchdünnen Blau
fallen lautlos
aus der
Zeit
Das Schwarze unter den Nägeln

als die Nacht
zu schmelzen beginnt
in ihren Händen
formt sie
aus dem Dunkel
kleine geflügelte Wesen
die Schwärmern
gleichen
in den Winden

die davonfliegen
nennt sie
die Bleibenden
die bleiben
spielen mit ihr
bis sie zu Staub
zerfallen
im ersten Licht
Julimond

Am Ende eines
tiefen
Tages

flicht der Hibiskus
seinen letzten
Duft
blauviolett
ins
Haar
der Nacht

und Spinnen
legen
blasse Seidendecken
auf die
Zeit

hell über allem
fern und
immer

Julimond

in mir
Dass du bist

ich weiß nicht
was du bist
und ob du mir
gut tust

ich will nur
dass du bist
und mir
tust
Komprimiert

Gestern verbrannte ich
das alte Jahr,
weil ich es nicht
begraben mag.

Nun passt die Asche
wunderbar
in eine Nacht
und einen achtel Tag.
davor

tropfnass
hängen die Fragen
zwischen den Stunden

geklammert an Worte
die nichts hören
nichts sehen
nichts sagen

alle Spuren führen zur Mitte
ich stehe davor

und warte

vielleicht
werde ich ein anderes Weiß haben
in den Augen

dahinter
© 2004 by Anna