Leben & Dasein

Leben ist die Suche des Nichts nach dem Etwas.
Christian Morgenstern (2), Stufen. Weltbild: Anstieg, 1905

Dies ist, glaube ich, die Fundamentalregel alles Seins: <Das Leben ist gar nicht so. Es ist ganz anders.>
Kurt Tucholsky (1, Bd. 4: 188), Gesammelte Werke in 10 Bänden

Niemals etwas tun - was ein anderer für uns tun kann. Alle Kraft sparen für das, was nur wir tun können.
Prentice Mulford (1, 130), Unfug des Lebens und des Sterbens

Das Leben ist beschneites Feuerwerk.
Friedrich Hebbel (1, [3423]), Tagebücher 1843-1847

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Rainer Maria Rilke (4, 1.Buch), Das Stunden-Buch

Leben bedeutet überall Leben, das Leben ist in uns selbst und nicht im Äußerlichen. Ich werde Menschen neben mir haben, und unter Menschen Mensch zu sein und für immer zu bleiben, den Mut nicht zu verlieren und sich vom Unglück, so groß es auch sein mag, nicht unterkriegen lassen - das ist der Sinn des Lebens und die Aufgabe.
Fjodor M. Dostojewski (2, Bd. 1: 90), Brief an seinen Bruder Michail, 22. Dezember 1849

Was ist das Leben? Die Wanderschaft eines Lahmen und Kranken, welcher mit einer schweren Last auf dem Rücken die steilsten Berge und unwegsamsten Gebiete bei Schnee und Eis, Regen und Wind, unter brennender Sonne bei Tag und Nacht überquert, ohne sich jemals Ruhe zu gönnen, und viele Tagereisen zurücklegt, um schließlich an einen Abgrund, an eine Schlucht zu gelangen und dort unweigerlich in die Tiefe zu stürzen.
Giacomo Leopardi (1, 535), Das Gedankenbuch

Was ist des Menschen Leben? Ein Schwanken hierhin - dorthin - von Sorge zu Sorge. Ein Loch stopft man zu, - ein anderes ist gleich wieder da.
Laurence Sterne (1, Bd. 1: 314), Tristram Shandy

Die Wahrheit ist: das Leben ist entzückend, schrecklich, charmant, grauenvoll, süß, bitter, und das ist alles.
Anatole France

Wir leben nur, um Schönheit zu entdecken. Alles andere ist eine Art des Wartens.
Khalil Gibran (1, 31), Sand und Schaum

Das Leben ist für uns alle unsagbar schwer, tückisch und grenzenlos übelwollend: im Ertragen liegt alles Schöne und Wertvolle. Und ein bißl was nützt einem vielleicht, daß man andere hat, die einem ertragen zuschauen und gut genug sind, das Schwere zu verstehen, und deren Teilnahme einen Sinn hat.
Hugo von Hofmannsthal (3, 113), Brief an Edgar Freiherrn Karg von Bebenburg, 21. August 1894

Das Leben ist eine Anstrengung, die einer besseren Sache würdig wäre.
Karl Kraus (1, 314)

Man wird dumm inmitten von Schmerz und Geschrei geboren; man ist der Spielball der Unwissenheit, des Irrtums, der Bedürfnisse, der Krankheiten, der Bosheit und der Leidenschaften; vom Augenblick der ersten Stammelns bis hin zum Greisengefasel lebt man inmitten von Schurken und Scharlatanen jeglicher Art; zwischen einem Mann, der einem den Puls fühlt, und jenem anderen, der einem den Kopf verwirrt, haucht man sein Leben aus; man weiß nicht, woher man kommt, warum man gekommen ist, wohin man geht - und dies wird als das größte Geschenk unserer Eltern und der Natur bezeichnet, als das Leben.
Denis Diderot (1, 216), Brief an Sophie Volland, 26. September 1762

Solange ein Mensch lebt, hat er noch Hoffnung, und ein lebender Hund ist immer noch besser als ein toter Löwe. Die Lebenden wissen wenigstens, daß sie einmal sterben müssen. Die Toten wissen überhaupt nichts mehr. Ihre Verdienste werden nicht belohnt; denn niemand denkt mehr an sie. Ganz gleich, ob sie einst Liebe, Haß oder Eifersucht erregt haben, alles ist aus und vorbei. Sie haben auf ewig keinen Anteil mehr an dem, was unter der Sonne geschieht. Darum iß dein Brot und trink deinen Wein und sei fröhlich dabei! [...] Nimm das Leben als ein Fest: [...] Genieße jeden Tag [...] Denn das ist der Lohn für die Mühsal des Lebens. Nutze alle Möglichkeiten, die sich dir bieten; denn du bist unterwegs zu dem Ort, von dem keiner wiederkehrt. Wenn du tot bist, ist es zu Ende mit allem Tun und Planen, mit aller Einsicht und Weisheit.
Die Bibel (1, 604), Kohelet 9,4-10

Das Leben selbst ist ein Meer voller Klippen und Strudel, die der Mensch mit der größten Behutsamkeit und Sorgfalt vermeidet, obwohl er weiß, daß, wenn es ihm auch gelingt, mit aller Anstrengung und Kunst sich durchzuwinden, er eben dadurch mit jedem Schritt dem größten, dem totalen, dem unvermeidlichen und unheilbaren Schiffbruch näher kommt, ja gerade auf ihn zusteuert, - dem Tode: dieser ist das endliche Ziel der mühseligen Fahrt und für ihn schlimmer als alle Klippen, denen er auswich.
Arthur Schopenhauer (3, Bd. 2: 391), Die Welt als Wille und Vorstellung

Das Leben ist ein Schiffbruch; rette sich wer kann!
Voltaire (3, 83), Aphorismen und Gedankenblitze

Die Dauer des menschlichen Lebens ist ein Augenblick, das Wesen ein beständiger Strom, die Empfindung eine dunkle Erscheinung, der Leib eine verwesliche Masse, die Seele ein Kreisel, das Schicksal ein Rätsel, der Ruf etwas Unentschiedenes. Kurz, was den Körper betrifft, ist es ein schneller Fluß, was die Seele angeht, Träume und Dunst, das Leben ist ein Krieg, eine Haltestelle für Reisende, der Nachruhm ist Vergessenheit.
Marc Aurel (1, 21), Selbstbetrachtungen

Jeder Mensch ist im Grunde gescheiter wie der andere, nur will dies keiner von ihnen glauben. Die Ecke des einen greift in die Fuge des andern, und so entsteht die seltsame Maschinerie, die wir das menschliche Leben nennen. Verachtung und Verehrung, Stolz und Eitelkeit, Demut und Eigensinn: alles eine blinde, von Notwendigkeiten umgetriebene Mühle, deren Gesause in der Ferne wie artikulierte Töne klingt. Vielleicht ist es keinem Menschen gegeben, alles aus dem wahren Standpunkte zu betrachten, weil er selbst irgendwo als umgetriebenes und treibendes Rad steckt.
Ludwig Tieck (1, 398), William Lovell

Wir sind nicht lebendiger als die Puppen im Hanskasperltheater, man spielt mit uns, und wir wissen nichts vom nächsten Akt des Spieles und nichts vom Schluß. Der Schicksalsgott hat seinen Finger in unserem Kopf stecken und seine Hand in unserem Leib, und er bewegt uns, und wir glauben an Eigenbewegung!
Max Dauthendey (3, 398), Brief an seine Frau Annie: 14. März 1916

Das Leben ist das Allerlustigste und Lächerlichste, was man sich denken kann; alle Menschen tummeln sich wie klappernde Marionetten durcheinander, und werden an plumpen Drähten regiert, und sprechen von ihrem freien Willen.
Ludwig Tieck (1, 441), William Lovell

Ist das Leben vielleicht nur ein Verbrennen, ein Ausglühen, ein Wegzehren der Empfänglichkeit für Schmerz und Lust? Ist alles, was als ruhiges Element, als Erde und Stein, uns umgibt, schon lebendig gewesen? Werden auch wir Erde und Stein und ist die Geschichte zu Ende, wenn alles ruht und schweigt?
Friedrich Hebbel (1, [2618]), Tagebücher 1835-1843

Der Mensch lebt, um seine Pflicht zu tun und zu sterben. Und das zweite beständig gegenwärtig zu haben erleichtert einem das erste.
Theodor Fontane (1, 441), Cécile

Nicht der Mensch hat am meisten gelebt, welcher die höchsten Jahre zählt, sondern derjenige, welcher sein Leben am meisten empfunden hat.
Jean-Jaques Rousseau (2, Bd. 1: 25), Emil oder Über die Erziehung

Das Leben hat keinen anderen Zweck, als daß sich der Mensch in seinen Kräften, Mängeln und Bedürfnissen kennenlernen soll. Wenigstens ist dies der einzige Zweck, der immer erreicht wird, das Leben mag nun sein, wie es will.
Friedrich Hebbel (1, [1093]), Tagebücher 1835-1843

Das einzige, was der Mensch zu seiner Freude tun kann, ist, daß er sein Leben genießt, solange er es hat.
Die Bibel (1, 599f), Kohelet 3,12

Man steht im Leben immer wieder vor der Wahl, es sich selbst leicht und den anderen schwer zu machen - oder umgekehrt. Aber hat man denn die Wahl?
Arthur Schnitzler (3, 182), Aphorismen

An seinen Idealen zugrundegehen können, heißt lebensfähig sein!
Peter Altenberg (2, 109), Diogenes in Wien

Erwarte nichts. Heute: das ist dein Leben.
Kurt Tucholsky (1, Bd. 9: 289), Gesammelte Werke in 10 Bänden

Wenn man die Menschen am Abend ihr Brutterbrot essen sieht, so kann die Bemühung das Leben zu erklären, sehr lächerlich erscheinen. Butter und Brot erklären alles.
Friedrich Hebbel (1, [38]), Tagebücher 1835-1843

Aber weil Hiersein viel ist, und weil uns scheinbar alles das Hiesige braucht, dieses Schwindende, das seltsam uns angeht. Uns, die Schwindendsten. Ein Mal jedes, nur ein Mal. Ein Mal und nichtmehr. Und wir auch ein Mal. Nie wieder. Aber dieses ein Mal gewesen zu sein, wenn auch nur ein Mal: irdisch gewesen zu sein, scheint nicht widerrufbar.
Rainer Maria Rilke (1, 9.), Duineser Elegien

Wie bald, und du bist Asche und Knochengerippe und nur noch ein Name [...] Und die geschätztesten Güter des Lebens sind eitel, modernd, unbedeutend, Hunden gleich, die sich herumbeißen, und Kindern, die sich zanken, bald lachen und dann wieder weinen. [...] Was gibt es also, das dich hier unten zurückhält? Alles Sinnliche ist ja so wandelbar und unbeständig, die Sinne selbst sind aber voll trüber Eindrücke und leicht zu täuschen, und das Seelchen ist selbst nur ein Aufdampfen des Blutes. [...] Warum siehst du also nicht gelassen deinem Erlöschen oder deiner Versetzung entgegen? Bis aber dieser Zeitpunkt sich einstellt, was bleibt übrig? Was anders, als die Götter zu ehren und zu preisen, den Menschen aber wohlzutun und sie zu dulden oder auch zu meiden und zu bedenken, daß alles, was außerhalb der engen Grenzen deines Fleisches und Geistes liegt, weder dir gehört noch von dir abhängt.
Marc Aurel (1, 58), Sebstbetrachtungen

Ach, was ist alles dies, was wir vor köstlich achten,
als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
als eine Wiesenblum', die man nicht wiederfind't.
Noch will, was ewig ist, kein einzig Mensch betrachten!
Andreas Gryphius (1, 82f), Es ist alles eitel

Das Gute tun, das Wahre erkennen, das ist es, was einen Menschen vom anderen unterscheidet. Der Rest ist nichts. Das Leben ist so kurz, seine wahre Bedürfnisse sind so gering, und wenn man scheidet, bedeutet es so wenig, ob man jemand oder ob man niemand war. Am Ende braucht man nur ein schlechtes Tuch und vier Fichtenbretter.
Denis Diderot (1, 74), Brief an Sophie Volland, 3. November1759

Wie leer und bedeutungslos ist das Leben! - Man begräbt einen Menschen, begleitet ihn zu Grabe, wirft drei Spaten voll Erde auf seinen Sarg. Dabei fährt man in der Kutsche hinaus, fährt in der Kutsche nach Haus, und tröstet sich damit, daß noch ein langes Leben vor einem liege. Wie lang ist es denn, wenn's auf 7x10 Jahre hinauskommt? Warum macht man's nicht lieber auf einmal ab? warum bleibt man nicht draußen und steigt mit hinab ins Grab, und wirft das Los darüber, wem das Unglück widerfahren soll, der Letztlebende zu sein, welcher die letzten drei Spatenwürfe besorge für den letzten Toten?
Søren Kierkegaard (1, 28f), Entweder-Oder

Wir sind alle lebendig begraben und wie Könige in drei- oder vierfachen Särgen beigesetzt, unter dem Himmel, in unsern Häusern, in unsern Röcken und Hemden. - Wir kratzen fünfzig Jahre lang am Sargdeckel. Ja, wer an Vernichtung glauben könnte! dem wäre geholfen. - Da ist keine Hoffnung im Tod; er ist nur eine einfachere, das Leben eine verwickeltere, organisiertere Fäulnis, das ist der ganze Unterschied!
Georg Büchner (2, 67), Dantons Tod

Seltsames Los des Menschen! Er lebt 70 Jahr und meint, etwas Neues und Niedagewesenes während dieser Zeit zu sein - und doch ist er nur eine Welle, in der die Vergangenheit der Menschen sich fortbewegt, und er arbeitet immer an einem Werke von ungeheurer Zeitdauer, so sehr er sich auch als Tagesfliege fühlen mag. Denn: er hält sich für frei, und ist doch nur ein aufgezogenes Uhrwerk, ohne Kraft, dieses Werk auch nur deutlich zu sehen, geschweige denn, es zu ändern, wie und worin er wollte.
Friedrich Nietzsche (10, 21[12]), Nachlass: Fragmente Sommer 1882

Man kan tun, was man will, es hat alles keinen Sinn. Man müht und plagt sich sein Leben lang, und was hat man davon? Die Generationen kommen und gehen; nur die Erde bleibt, wie sie ist. Die Sonne geht auf, sie geht unter, und dann wieder von vorn, immer dasselbe. [...] Alle Flüsse fließen ins Meer, aber das Meer wird nicht voll. Das Wasser kehrt zu den Quellen zurück, und wieder fließt es ins Meer. Alles verändert sich so schnell, daß man mit dem Hören und Sehen gar nicht nachkommen kann; und es in Worte zu fassen ist erst recht unmöglich. Und doch bleibt es dabei: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Was gewesen ist, das wird wieder sein; was getan wurde, das wird wieder getan.
Die Bibel (1, 598), Kohelet 1,2-9

Weiß der Himmel: oft scheint mir, das Leben hat nur den Sinn, sich hier unten die passende Gesellschaft fürs Jenseits auszusuchen. Mir wenigstens ergeht es so. Das Alleinsein ist vielleicht gar nicht meine Sache, aber ich mag nicht mit Jedermann gehen. [...] So will ich meine Gesellschaft wählen, eine Gesellschaft, die auftaucht, wenn alles vorüber sein wird. [...] Wartend will ich im Hinterhalt liegen und keiner soll mich im Warten übertreffen. Dich, mein Kind, habe ich ja auch so gefangen. Ich bin eine große Spinne [...]
Hugo Ball (2, 131), Brief an seine Frau Emmy, 23. November 1923

Das Leben hört nicht einfach auf an einem bestimmten Ort, May, und dieser großartige Lebensreigen mit all seiner Schönheit muß ununterbrochen weiterziehen von einer Ewigkeit zur anderen. Und wir beide, May, die wir das Leben heiligen und mit all unseren Kräften danach streben, was recht, segensreich, schön und edel ist, wir, die wir hungern und dürsten nach dem Bleibenden und Ewigen im Leben, wir wollen weder sagen noch tun, was die Angst hervorbringt, was die Seele mit Dornen und den Geist mit Bitterkeit erfüllt. [...] Und wenn wir etwas lieben, May, so halten wir die Liebe für ein Ziel in sich und nicht für ein Mittel, das wir einsetzen, um etwas anderes zu erreichen. [...] Und wenn wir uns nach etwas sehnen, so ist die Sehnsucht selbst für uns eine Gabe und eine Gnade. [...]
Wir beide - Du und ich - wir können nicht vor dem Angesicht der Sonne stehen und sagen: Wir müssen unserer Seele Qualen ersparen! Wir können sie gut entbehren! Nein, May, wir können nicht auf das verzichten, was die Seele wie ein heiliger Sauerteig durchsetzt. [...] Wir können nicht auf das verzichten, was uns unserem größerem Ich näherbringt und uns zeigt, was es in unseren Seelen an Kräften, Geheimnissen und Wundern gibt.
Khalil Gibran (1, 70), Brief an May Ziadeh, 11. Januar 1921

Freilich ist das Leben arm und einsam. Wir wohnen hier unten, wie der Diamant im Schacht. Wir fragen umsonst, wie wir herabgekommen sind, um wieder den Weg hinauf zu finden. Wir sind wie Feuer, das im dürren Aste oder im Kiesel schläft, und ringen und suchen in jedem Moment das Ende der engen Gefangenschaft. Aber sie kommen [...] die Augenblicke der Befreiung, wo das Göttliche den Kerker sprengt, wo die Flamme vom Holz sich löst und siegend emporwallt über der Asche, ha! wo uns ist, als kehrte der entfesselte Geist, vergessen der Leiden, der Knechtsgestalt, im Triumphe zurück in die Hallen der Sonne.
Friedrich Hölderlin (2, 82), Hyperion an Bellarmin

Das Leben besteht aus seltenen einzelnen Momenten von höchster Bedeutsamkeit und unzählig vielen Intervallen, in denen uns besten Falls die Schattenbilder jener Momente umschweben. Die Liebe, der Frühling, jede schöne Melodie, das Gebirge, der Mond, das Meer - Alles redet nur einmal ganz zum Herzen: wenn es überhaupt je ganz zu Worte kommt. Denn viele Menschen haben jene Momente gar nicht und sind selber Intervalle und Pausen in der Symphonie des wirklichen Lebens.
Friedrich Nietzsche (7, 586.), Menschliches, Allzumenschliches: Neuntes Hauptstück - Der Mensch mit sich allein

Wir sind unter der Bedingung geboren, das zu sein, was wir wollen.
Giovanni Pico Della Mirandola

Es gibt zwei große Lebensregeln, eine allgemeine und eine besondere. Die erste besagt, daß jeder schließlich erreichen kann, was er will, wenn er es nur versucht. Das ist die allgemeine Regel. Die besondere Regel ist, daß jeder einzelne mehr oder weniger eine Ausnahme von der allgemeinen Regel ist.
Samuel Butler (1, 11), The Note-Books

Merke dir vor allem zwei Wahrheiten: Erstens, daß die Außenwelt deine Seele nicht berühren kann, sondern immer unbeweglich draußen steht, also Störungen deines inneren Friedens nur aus deiner Einbildung entstehen; und zweitens, daß alles, was du siehst, sich schnell verändert und nicht mehr sein wird. Und wie vieler Veränderungen Augenzeuge bist du nicht selbst schon gewesen! Die Welt ein ewiger Wechsel, das Leben ein Wahn!
Marc Aurel (1, 31f), Selbstbetrachtungen

Wir halten uns nie an die Gegenwart. Wir rufen uns die Vergangenheit zurück; wir greifen der Zukunft vor, als käme sie zu langsam und als wollten wir ihr Eintreten beschleunigen, oder wir rufen uns die Vergangenheit zurück, als wollten wir sie festhalten, da sie zu schnell vorübereilte, wir sind so unklug, daß wir in Zeiten umherirren, die nicht die unsrigen sind, und nicht an die einzige denken, die uns gehört, und wir sind so eitel, daß wir an jene denken, die nichts sind, und uns unüberlegt der einzigen entziehen, die weiterbesteht. Das kommt daher, weil die Gegenwart uns meistens weh tut. Wir verbergen sie unserem Blick, weil sie uns betrübt, und wenn sie uns angenehm ist, bedauern wir, sie entschwinden zu sehen. Wir bemühen uns, sie durch die Zukunft abzusichern, und meinen die Dinge zu ordnen, die nicht in unserer Macht stehen, und das für eine Zeit, die zu erreichen für uns ganz ungewiß ist.
Blaise Pascal (1, Pensèe 47), Gedanken


Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen?
Was ist die Welt und ihre ganze Pracht?
Ein schnöder Schein in kurzgefaßten Grenzen,
ein schneller Blitz bei schwarzgewölkter Nacht;
ein buntes Feld, da Kummerdisteln grünen;
ein schönes Spital, so voller Krankheit steckt;
ein Sklavenhaus, da alle Menschen dienen,
ein faules Grab, so Alabaster deckt.
Das ist der Grund, darauf wir Menschen bauen
und was das Fleisch für einen Abgott hält.
Komm, Seele, komm und lerne weiter schauen,
als sich erstreckt der Zirkel dieser Welt.
Streich ab von dir derselben kurzes Prangen,
halt ihre Lust für eine schwere Last.
So wirst du leicht in diesen Port gelangen,
da Ewigkeit und Schönheit sich umfaßt.
Hofmann von Hofmannswaldau (1, 107), Die Welt

Im unendlichen Raum und unendlicher Zeit findet das menschliche Individuum sich als endliche, folglich als eine gegen Jene verschwindende Größe, in sie hineingeworfen und hat, wegen ihrer Unbegrenztheit, immer nur ein relatives, nie ein absolutes Wann und Wo seines Daseins: denn sein Ort und seine Dauer sind endliche Teile eines Unendlichen und Grenzenlosen. [...] Die Gegenwart aber wird beständig unter seinen Händen zur Vergangenheit: die Zukunft ist ganz ungewiß und immer kurz. So ist sein Dasein [...] ein stetes Hinstürzen der Gegenwart in die tote Vergangenheit, ein stetes Sterben. [...] so ist offenbar, daß wie bekanntlich unser Gehn nur ein stets gehemmtes Fallen ist, das Leben unsers Leibes nur ein fortdauernd gehemmtes Sterben, ein immer aufgeschobener Tod ist: endlich ist eben so die Regsamkeit unsers Geistes eine fortdauernd zurückgeschobene Langeweile. Jeder Atemzug wehrt den beständig eindringenden Tod ab, mit welchem wir auf diese Weise in jeder Sekunde kämpfen, und dann wieder, in großem Zwischenräumen, durch jede Mahlzeit, jeden Schlaf, jede Erwärmung u.s.w. Zuletzt muß er siegen: denn ihm sind wir schon durch die Geburt anheimgefallen, und er spielt nur eine Weile mit seiner Beute, bevor er sie verschlingt. Wir setzen indessen unser Leben mit großem Anteil und vieler Sorgfalt fort, so lange als möglich, wie man eine Seifenblase so lange und so groß als möglich aufbläst, wiewohl mit der festen Gewißheit, daß sie platzen wird.
Arthur Schopenhauer (3, Bd. 2: 389f), Die Welt als Wille und Vorstellung

Verbringe deine Zeit nicht mit der Suche nach einem Hindernis, vielleicht ist keins da.
Franz Kafka

Unwissen ist die Vorbedingung, ich sage nicht zum Glück, sondern zum Leben selbst. Wenn wir alles wüßten, könnten wir das Leben nicht eine Stunde lang ertragen.
Anatole France

Wir müssen unser Dasein so weit, als es irgend geht, annehmen; alles, auch das Unerhörte, muß darin möglich sein. Das ist im Grunde der einzige Mut, den man von uns verlangt: mutig zu sein zu dem Seltsamsten, Wunderlichsten und Unaufklärbarsten, das uns begegnen kann.
Rainer Maria Rilke, Brief an Franz Xaver Kappus, 12. August 1904

Jeder hat seinen beißenden nächtezerstörenden Teufel in sich und das ist weder gut noch schlecht, sondern es ist Leben: Hätte man den nicht, würde man nicht leben. Was Sie in sich verfluchen, ist also Ihr Leben. Dieser Teufel ist das Material (und im Grunde ein wunderbares), das Sie mitbekommen haben und aus dem Sie nun etwas machen sollen.
Franz Kafka (2), Brief an Minze Eisner, März 1920

Lebensklugheit bedeutet: alle Dinge möglichst wichtig, aber keines völlig ernst zu nehmen.
Arthur Schnitzler (3, 200), Aphorismen

Genaugenommen leben nur wenige Menschen wirklich in der Gegenwart, die meisten haben nur vor, einmal richtig zu leben.
Jonathan Swift (1, 509), Ausgewählte Werke

Einige leben vor ihrem Tode, andere nach ihrem Tode. Die meisten Menschen leben aber weder vor noch nach demselben; sie lassen sich gemächlich in die Welt herein und aus der Welt hinausvegetieren.
Johann Gottfried Seume (1, 65), Apokryphen

Alle Lebewesen außer dem Menschen wissen, daß der Hauptzweck des Lebens darin besteht, es zu genießen.
Samuel Butler