Wahrheit & Wirklichkeit

Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen.
Friedrich Nietzsche (5), Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn

Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz -
Gotthold Ephraim Lessing (1, 27), Eine Duplik

Ich nehme also an, alles, was ich wahrnehme, sei falsch; ich glaube, daß nichts von alledem jemals existiert habe, was mir mein trügerisches Gedächtnis vorführt. Ich habe überhaupt keine Sinne; Körper, Gestalt, Ausdehnung, Bewegung und Ort sind Chimären. Was soll da noch wahr sein? Vielleicht das Eine, daß es nichts Gewisses gibt.
Rene Descartes (1, 23/24), Meditationen

In Wirklichkeit wissen wir nichts; denn die Wahrheit liegt in der Tiefe.
Demokrit aus Abdera (1, 15), Fragmente

Zwei Wahrheiten, welche die Menschen nie glauben werden: daß sie nichts wissen und daß sie nichts sind. Man füge eine dritte hinzu, die sehr von der zweiten abhängt: daß es nach dem Tod nichts zu hoffen gibt.
Giacomo Leopardi (1, 574), Das Gedankenbuch

Was wahr ist, kann nicht schlecht sein; was schlecht ist, kann nicht wahr sein; was gut ist, kann nicht auf Unwahrheit beruhen; was schädlich ist, kann nur das Werk des Betrugs und des Wahnsinns sein und demzufolge nicht die Wertschätzung des Weisen verdienen. Die Weisheit taugt nichts, wenn sie nicht zum Glück führt.
César Chesneau Du Marsais (1, 197), Essay über die Vorurteile

Es gibt keine neuen Wahrheiten auf Erden; und gerade in diesen kleinen Sätzen dachtest du sie zu finden?
Arthur Schnitzler (1, 133), Aphorismen

Was bedeutet es, daß die Leute sagen: Die Wahrheit geht über die Welt? Es bedeutet, daß sie von Ort zu Ort verstoßen wird und weiterwandern muß.
Baal Schem Tow

Niemand stirbt jetzt an tödlichen Wahrheiten: es gibt zu viele Gegengifte.
Friedrich Nietzsche (7, 516.), Menschliches, Allzumenschliches: Neuntes Hauptstück, Der Mensch mit sich allein

Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilig.
Theodor Fontane, Der Stechlin

Das Wahre gibt es nicht! Es gibt nur verschiedene Arten des Sehens.
Gustave Flaubert

Wahrheit ist unteilbar, kann sich also selbst nicht erkennen; wer sie erkennen will, muß Lüge sein.
Franz Kafka (1, 80.), Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg

Es wäre interessant, alles Falsche aufzuzählen, aus dem sich das Wahre zusammensetzen kann.
Eugène Delacroix (1, 67), Tagebuch: 1850

Der Mensch besteht in der Wahrheit. Gibt er die Wahrheit preis, so gibt er sich selbst preis. Wer die Wahrheit verrät, verrät sich selbst. Es ist hier nicht die Rede vom Lügen – sondern vom Handeln gegen Überzeugung.
Novalis (2, 14), Vermischte Bemerkungen [Blüthenstaub]

Wir besitzen ein ganzes Arsenal von Wahrheiten, welches stark genug wäre, die Welt in einen Sternennebel zurückzuverwandeln, aber es ist jedes Arkanum im eisernen Tigel verschlossen, - durch unsere Starrheit, unsere Vorurteile, unsere Unfähigkeit, das Einmalige zu fassen.
Hugo von Hofmannsthal (2), Andreas oder die Vereinigten

Die Wahrheit soll wie die Sonne nicht zu hell sein: sonst flüchten die Menschen in die Nacht und machen es dunkel.
Friedrich Nietzsche (10, 29[4]), Nachlass: Fragmente Sommer 1878

Die größte Ehre, die man der Wahrheit erweisen kann, ist, sie zu leben.
Ralph Waldo Emerson

Vor allem denke immer daran, den Dingen ihr Beängstigendes zu nehmen und darauf zu sehen, was in Wahrheit an ihnen ist; Du wirst erkennen, daß ihnen selbst nichts Beängstigendes innewohnt, sondern daß unsere Furcht allein es ist, welche sie beängstigend macht.
Seneca (1, 139), Vom glückseligen Leben

[...] halte stets die eine Wahrheit fest, daß nur in der Natur Wahrheit und der Grund aller Freude und alles Friedens ist, und daß sämtliche Menschen summa summarum zehnmal mehr Dummes und Unwahres sich einbilden und ausposaunen, als sie je in ihrem Leben Wahres und Natürliches zusammen gebracht haben.
Ernst Haeckel (1), Brief an Anna Sethe, 24. Juli 1861

Verschweigt die Natur ihm nicht das Allermeiste, selbst über seinen Körper, um ihn, abseits von den Windungen der Gedärme, dem raschen Fluß der Blutströme, den verwickelten Fasererzitterungen, in ein stolzes, gauklerisches Bewußtsein zu bannen und einzuschließen! Sie warf den Schlüssel weg: und wehe der verhängnisvollen Neubegier, die durch eine Spalte einmal aus dem Bewußtseinszimmer heraus und hinabzusehen vermöchte, und die jetzt ahnte, daß auf dem Erbarmungslosen, dem Gierigen, dem Unersättlichen, dem Mörderischen der Mensch ruht, in der Gleichgültigkeit seines Nichtwissens, und gleichsam auf dem Rücken eines Tigers in Träumen hängend. Woher, in aller Welt, bei dieser Konstellation der Trieb zur Wahrheit!
Friedrich Nietzsche (5), Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne

Die Wesen höherer Ordnung, die denkenden Menschen sind gleichfalls notwendig Materialisten. Sie suchen die Wahrheit in der Materie, denn anderswo können sie sie nicht suchen, da sie einzig und allein die Materie sehen, hören und fühlen. Sie können die Wahrheit nur dort suchen, wo sie sich der Mikroskope, Sonden und Messer bedienen ... Dem Menschen die materialistische Richtung zu verbieten ist gleichbedeutend mit dem Verbot, die Wahrheit zu suchen. Außerhalb der Materie gibt es keine Erfahrung, kein Wissen und folglich auch keine Wahrheit.
Anton Tschechow (1, 144), Brief an Alexej S. Suworin: 7. Mai 1889

Schmerzlicher, als daß wir niemals die Wahrheit zu hören bekommen, ist, daß wir sie auch beim besten Willen niemals aussprechen können. Denn was wir auch sagen, der andere hört die Wahrheit nicht, die wir ihm vermitteln wollten. Was von unseren Lippen kam und was in des anderen Seele dringt, ist niemals das gleiche. Es ist schon im nächsten Augenblick nicht dasselbe mehr: [...] es kommt darauf an, was der andere hören wollte, wie er zu dir steht und so weiter. Und die Wahrheit um ihrer selbst willen ist kein Wert, so wenig wie ein Geldstück in einem Land, wo es keinen Kurs hat.
Arthur Schnitzler (3, 44f), Aphorismen

Um Wahrheit zu finden, mußt du ein Prinzip aller Wahrheit haben: setze es so hoch als du willst, es muß doch im Lande der Wahrheit liegen, im Lande, das du erst suchen willst. Wenn du aber alle Wahrheit durch dich selbst hervorbringst, wenn der letzte Punkt, an dem alle Realität hängt, das Ich ist, und dieses nur durch sich selbst und für sich selbst ist, so ist alle Wahrheit und alle Realität dir unmittelbar gegenwärtig. Du beschreibst, indem du dich selbst als Ich setzst, zugleich die ganze Sphäre der Wahrheit, der Wahrheit, die nur durch dich und für dich Wahrheit ist. Alles ist nur im Ich und für das Ich.
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen

Was man gemeinhin Wirklichkeit nennt, ist, exakt gesprochen, ein aufgebauschtes Nichts. Die Hand, die zugreift, zerfällt in Atome; das Auge, das Sehen will, löst sich in Dunst auf. Wie könnte das Herz sich behaupten, wenn es die Tatsachen gelten liesse? Wer eine Neigung hätte, auf Tatsachen zu insistieren, der müßte gar bald die Erfahrung machen, daß er noch weniger als ein Nichts, nur Schatten des Nichts und Befleckung durch diese Schatten gesammelt hat.
Hugo Ball (1), Die Flucht aus der Zeit

Was die Philosophen von der Wirklichkeit sagen, ist oft geradeso täuschend, wie wenn man bei einem Trödler auf einem Schilde liest: »Hier wird gerollt.« Käme man nun mit seiner Wäsche, um sie gerollt zu bekommen, so wäre man angeführt: denn das Schild steht da bloß zum Verkaufe.
Søren Kierkegaard (1, 32), Entweder-Oder

[...] der notwendige Glaube an unsere Freiheit und Kraft, an unser wirkliches Handeln, und an bestimmte Gesetze des menschlichen Handelns ist es, welcher alles Bewusstsein einer ausser uns vorhandenen Realität begründet - ein Bewusstsein, das selbst nur ein Glaube ist, da es auf einen Glauben sich gründet, aber ein aus jenem notwendig erfolgender Glaube. Wir sind genötigt anzunehmen, dass wir überhaupt handeln, und dass wir auf eine gewisse Weise handeln sollen; wir sind genötigt, eine gewisse Sphäre dieses Handelns anzunehmen: diese Sphäre ist die wirklich und in der Tat vorhandene Welt, so wie wir sie antreffen; und umgekehrt - diese Welt ist absolut nichts Anderes, als jene Sphäre, und erstreckt auf keine Weise sich über sie hinaus. [...] Wir handeln nicht, weil wir erkennen, sondern wir erkennen, weil wir zu handeln bestimmt sind; die praktische Vernunft ist die Wurzel aller Vernunft. Die Handelsgesetze für vernünftige Wesen sind unmittelbar gewiss: ihre Welt ist gewiss nur dadurch, dass jene gewiss sind. Wir können den ersteren nicht absagen, ohne dass uns die Welt, und mit ihr wir selbst in das absolute Nichts versinken; wir erheben uns aus diesem Nichts, und erhalten uns über diesem Nichts lediglich durch unsere Moralität.
Johann Gottlieb Fichte (1, Bd. 2: 263f), Die Bestimmung des Menschen: Drittes Buch - Glaube

Der Mensch ist als wirklich in die Mitte einer wirklichen Welt gesetzt und mit solchen Organen begabt, daß er das Wirkliche und nebenbei das Mögliche erkennen und hervorbringen kann. Alle gesunde Menschen haben die Überzeugung ihres Daseins und eines Daseienden um sie her.
Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen

Der Mensch entdeckt zuletzt nicht die Welt, sondern seine Tastorgane und Fühlhörner und deren Gesetze - aber ist deren Existenz nicht schon ein genügender Beweis für die Realität? Ich denke, der Spiegel beweist die Dinge.
Friedrich Nietzsche (10, 10[D83]), Nachlass: Fragmente Frühjahr 1880-Frühjahr 1881

Betrachte den Fühler dieses feingliedrigen Käfers. Was ist der Mensch anderes als solch ein Fühler, von unbekannter Urkraft ausgestreckt, tastend sich über die Dinge zu unterrichten suchend, zuletzt forschend zurückgekrümmt auf sich selbst - ? Der Mensch, ein Taster Gottes nach Sich selbst.
Christian Morgenstern (2), Stufen. Erkennen, 1907

So ist also wohl alles in Wirklichkeit und wesenhaft, und alles auch Wirklichkeit? Oder wie sonst? Wenn demnach jene Natur mit Recht als >schlaflos< bezeichnet ist, als Leben und bestes Leben, so dürften dort die schönsten Wirklichkeiten sein. Folglich ist alles in Wirklichkeit und Wirklichkeit und alles Leben, und der Ort daselbst ist der Ort des Lebens und in Wahrheit Prinzip und Quelle der Seele und des Geistes.
Plotin (1, 117), Die Enneaden

Nur Richtung ist Realität, das Ziel ist immer eine Fiktion, auch das erreichte - und dieses oft ganz besonders.
Arthur Schnitzler (3, 201), Aphorismen

Der Mensch von gesundem Sinne und Verstand weiß von dieser seiner Wirklichkeit, welche die konkrete Erfüllung seiner Individualität ausmacht, auf selbstbewußte, verständige Weise; er weiß sie wach in der Form des Zusammenhangs seiner mit den Bestimmungen derselben als einer von ihm unterschiedenen äußeren Welt [...]. - Dabei hat diese Welt, die außer ihm ist, ihre Fäden so in ihm, daß, was er für sich wirklich ist, aus denselben besteht; so daß er auch in sich so abstürbe, wie diese Äußerlichkeiten verschwinden [...]. Indem aber die Erfüllung des Bewußtseins, die Außenwelt desselben und sein Verhältnis zu ihr, eingehüllt [...] wird, so bleibt jene immanente Wirklichkeit des Individuums dieselbe substantielle Totalität als ein Gefühlsleben, das in sich sehend, wissend ist. [...] So ist das Individuum die seine Wirklichkeit in sich wissende Monade, das Selbstanschauen des Genius.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (2, 134f), Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse

Jenes eilt ins Dasein, dieses aus dem Dasein, und von dem, was im Werden begriffen ist, ist manches bereits wieder verschwunden. Eine unaufhörliche Flut von Veränderungen erneuert stets die Welt, so wie der ununterbrochene Lauf der Zeit uns immer wieder eine neue, unbegrenzte Dauer in Aussicht stellt. Wer möchte nun in diesem Strome, wo man keinen festen Fuß fassen kann, irgendeines von den vorübereilenden Dingen besonders wertschätzen? Das wäre gerade so, als wenn sich jemand in einen vorüberfliegenden Sperling verlieben wollte, der ihm in einem Augenblick wieder aus den Augen entschwunden ist. Ist doch selbst jegliches Menschenleben von ähnlicher Art nichts anderes als das Aufdampfen von Blut und das Einatmen von Luft.
Marc Aurel (1, 63), Selbstbetrachtungen

Es scheint widersinnig und ist doch völlig wahr: Da alles Wirkliche ein Nichts ist, gibt es nichts Wirkliches, nichts, was Bestand hat auf dieser Welt, als die Einbildungen.
Giacomo Leopardi (1, 41), Das Gedankenbuch

Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge.
Novalis (2, 5), Vermischte Bemerkungen [Blüthenstaub]

Warum sieht der Mensch die Dinge nicht? Er steht sich selber im Wege; er verdeckt die Dinge.
Friedrich Nietzsche (10, 12[1]: 76), Nachlass: Fragmente Sommer 1883

Mit dem ersten Bewußtsein einer Außenwelt ist auch das Bewußtsein meiner selbst da, und umgekehrt, mit dem ersten Moment meines Selbstbewußtseins tut sich die wirkliche Welt vor mir auf. Der Glaube an die Wirklichkeit außer mir entsteht und wächst mit dem Glauben an mich selbst; einer ist so notwendig als der andere; beide - nicht spekulativ getrennt, sondern in ihrer vollsten, innigsten Zusammenwirkung - sind das Element meines Lebens und meiner ganzen Tätigkeit.
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1, Bd. 1: 314), Ideen zu einer Philosophie der Natur

Die einzige Welt, welche jeder wirklich kennt und von der er weiß, trägt er in sich, als seine Vorstellung, und ist daher das Zentrum derselben. Deshalb eben ist jeder sich Alles in Allem; er findet sich als den Inhaber der Realität und kann ihm nichts wichtiger sein, als er selbst.
Arthur Schopenhauer (2, 480), Über die Grundlage der Moral

Was wir Illusion nennen, ist entweder Wahn, Irrtum oder Selbstbetrug, - wenn sie nicht eine höhere Wirklichkeit bedeutet, die als solche anzuerkennen wir zu bescheiden, zu skeptisch oder zu zaghaft sind.
Arthur Schnitzler (1, 77), Aphorismen

Sie sind tief eingetaucht in Illusionen und Traumbilder, ihr Auge gleitet nur auf der Oberfläche der Dinge herum und sieht "Formen", ihre Empfindung führt nirgends in die Wahrheit, sondern begnügt sich Reize zu empfangen und gleichsam ein tastendes Spiel auf dem Rücken der Dinge zu spielen. Dazu lässt sich der Mensch Nachts, ein Leben hindurch, im Traume belügen, ohne dass sein moralisches Gefühl dies je zu verhindern suchte [...]. Was weiß der Mensch eigentlich von sich selbst!
Friedrich Nietzsche (5), Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn

Es gibt eine Welt, die, wenn sie auch nur in unsern Träumen lebte, sich ebenso zusammensetzen könnte zur Wirklichkeit wie die Wirklichkeit selbst, eine Welt, die wir durch Phantasie und Vertrauen zu kombinieren vermögen. Schale Gemüter wissen nur das, was geschieht; Begabte ahnen, was sein könnte; Freie bauen sich ihre eigne Welt.
Karl Gutzkow (1), Wally, die Zweiflerin: Wahrheit und Wirklichkeit

Meine Welt ist - Objekt und Sphäre meiner Pflichten, und absolut nichts Anderes; eine andere Welt, oder andere Eigenschaften meiner Welt gibt es für mich nicht; mein gesamtes Vermögen und alles Vermögen der Endlichkeit reicht nicht hin, eine andere Welt zu fassen. Alles was für mich da ist, dringt nur durch diese Beziehung seine Existenz und Realität mir auf, und nur durch diese Beziehung fasse ich es - und für eine andere Existenz fehlt es mir gänzlich am Organ.
Johann Gottlieb Fichte (1, Bd. 2: 261f), Die Bestimmung des Menschen: Drittes Buch - Glaube

Denn in den Räumen
Dieser Wunderwelt ist eben
Nur ein Traum das ganze Leben;
Und der Mensch (das seh ich nun)
Träumt sein ganzes Sein und Tun,
Bis zuletzt die Träum' entschweben.
Calderón de la Barca, Das Leben ein Traum

Das Ich ist unrettbar. Die Vernunft hat die alten Götter umgestürzt und unsere Erde entthront. Nun droht sie, auch uns zu vernichten. Da werden wir erkennen, daß das Element unseres Lebens nicht die Wahrheit ist, sondern die Illusion. Für mich gilt nicht, was wahr ist, sondern was ich brauche, und so geht die Sonne dennoch auf, die Erde ist wirklich, und ich bin ich.
Hermann Bahr (1), Dialog vom Tragischen

Gestalt hat nur für uns, was wir überschauen können; von dieser Zeit aber sind wir umfangen, wie Embryonen von dem Leibe der Mutter, was können wir also von ihr Bedeutendes sagen? Wir sehen einzelne Symptome, hören Einen Pulsschlag des Jahrhunderts, und wollen daraus schließen, es sei erkrankt. Eben diese uns bedenklich scheinenden Anzeichen gehören vielleicht zu der individuellen Gesundheit dieser Zeit. Jede Individualität aber ist ein Abgrund von Abweichungen, eine Nacht, die nur sparsam von dem Licht allgemeiner Begriffe erleuchtet wird. Darum Freund! weil wir nur wenige Züge von dem unermeßlichen Teppich sehen, an welchem der Erdgeist die Zeiten hindurch webt, darum laß uns bescheiden sein.
Karoline von Günderode (1), Briefe zweier Freunde

Entspricht nicht tatsächlich jedem Empfindungsvorgang ein äußerer Bewegungsvorgang, welcher nur das Spiegelbild von jenem inneren ist, erzeugt durch unsere äußere Sinnesauffassung in Raum und Stoff? Hebe die Möglichkeit auf, daß das entsteht, was wir organisierte Wesen mit Zentralorganen des Bewußtseins nennen, und du hast auch das Bewußtsein in seinen höheren Formen aufgehoben. Glaubst du, daß der innere Bewußtseinsinhalt einer Welt, welche einem äußeren Zuschauer, wie uns, nur als eine unzählbare Summe geradlinig nebeneinander durch den Raum ziehender Atome erscheinen würde, daß dieser Bewußtseinsinhalt noch eine Welt genannt werden kann? 
Kurd Laßwitz (1, II.), Im Pyramidenhotel